Gendergerechte Sprache - brauchen wir das überhaupt noch?
Heute schweifen wir ein bisschen vom Thema ab.
Es geht nämlich um Sprache, genauer gesagt gendergerechte Sprache.
Nicole Isermann hat zur Blogparade Gendergerechtigkeit aufgerufen und nach langem Grübeln, ob ich dazu was zu sagen habe, ist dieser Beitrag entstanden.
[Edit: Hier findest du die epische Zusammenfassung der Blogparade von Nicole]
Du meinst, das hat ja nix mit Häkeln zu tun?
Dazu komme ich gleich.
Brauchen wir also gendergerechte Sprache und, viel wichtiger, was wollen wir damit erreichen?
Ich kann schon mal verraten: “Gleichberechtigung von Frauen” reicht als Antwort bei weitem nicht aus.
1. Die Buchstaben des Gesetzes
Als studierte Juristin bin ich praktisch von Berufs wegen Wortkünstlerin - in meinem Hauptjob verbringe ich viele Stunden pro Woche damit, Bescheide zu schreiben und rechtliche Fragestellungen zu prüfen.
In den letzten Jahren (ich stehe, wie mir gerade klar wird, seit bald 10 Jahren im Berufsleben) ist mir dabei vor allem eines klar geworden:
Sprache ist wichtig.
Gesetze werden von Menschen für Menschen formuliert und müssen eine Vielzahl von möglichen Einzelfällen abdecken. Im Begutachtungsverfahren können Parteien, Behörden, Betroffene, Anwälte und Verbände Rückmeldungen geben, wie sie eine Formulierung einschätzen und ob hier Probleme übersehen werden.
Wenn nicht gerade Pandemie ist, wird in dieser Phase oft noch am Gesetz geschraubt, denn jedes Wort, jeder Buchstabe kann die Bedeutung beeinflussen. Wir sprechen nicht umsonst vom Buchstaben des Gesetzes.
Es geht um jeden Buchstaben.
Denn der Grundsatz lautet, kurz gesagt: Was im Gesetz steht, steht da aus gutem Grunde drin und was nicht drin steht, wurde aus gutem Grunde weggelassen. Soviel zur Theorie.
In der Praxis in Erinnerung geblieben ist mir ein Beispiel aus dem Studium.
Die Formulierung (es ging meine ich um die Funktionsperiode eines Beirates) lautete: “Eine Wiederholung ist möglich”.
Im alltäglichen Sprachgebrauch mag sich das nach einer eindeutigen Formulierung anhören. Ist sie aber nicht. Denn geht es hier darum, dass eine Wiederholung möglich ist, oder, dass genau 1 Wiederholung (und nicht etwa zwei oder drei) möglich sind?
Sprache ist wichtig.
Sollten wir die Regel, dass alles, was nicht gesagt oder geschrieben wird, wahrscheinlich aus gutem Grund weggelassen wurde, nicht auch auf unsere Sprache übertragen?
Sagen wir doch einfach, wer gemeint ist, dann muss niemand überlegen, ob er oder sie “mitgemeint” ist.
2. Muss ich mich mitgemeint fühlen?
Wird von Lehrern gesprochen oder Polizisten oder Aufsichtsräten, habe ich ein Bild im Kopf und das zeigt Männer. Und nur Männer.
Lehrerinnen und Lehrer? Ganz was anderes.
Meine Töchter (inwzischen 3 und 5) sind da übrigens noch sensibilisierter. So würden sie mich sofort korrigieren, wenn ich sage “natürlich kannst du Austronaut werden”. Denn es müsste Astronautin heißen.
(Und ja, das ist immer mal wieder ein konkreter Berufswunsch.)
Ja, es mag Menschen geben, die sich automatisch “mitgemeint” fühlen, wenn männliche Begriffe verwendet werden, aber müssen wir uns mitgemeint fühlen? Ist es zuviel verlangt, wenn Mann den weiblichen Begriff nennt, wenn eigentlich Frauen gemeint sind? Ich glaube nicht.
3. Dürfen wir das ändern?
Ich bin fest davon überzeugt, dass Sprache das Leben der Menschen abbilden sollte. Sprache ist lebendig und sollte uns dienen und uns nicht in einen historischen Käfig einsperren.
Deshalb halte ich es auch für wichtig, dass Regeln geändert werden, wenn sich die Realität geändert hat. Nur weil es die Sprache der Dichter und Denker ist, muss die deutsche Sprache ja nicht bei den Ansichten des vorletzten Jahrhunderts stehen bleiben.
Im Gegenteil halte ich es für ein Vorrecht der jungen Generation, die Sprache und die Kultur zu verändern. Also ein klarer Daumen nach oben für Veränderungen.
Die meisten von uns haben Lesen und Schreiben gelernt, als Worte wie Handy und Soziale Medien noch nicht allgegenwärtig waren, die Sprache ist immer im Fluss und so sollte es finde ich auch bleiben.
4. Bringt das überhaupt was?
“Habt ihr denn keine echten Probleme?”
Das liest man oft in Kommentarspalten im Internet, wenn es um gendergerechte Sprache, um Binnen-I und Sternchen und die angebliche Verschandelung der Sprache geht.
In der Praxis bin ich übrigens seit kurzem eine Freundin des Doppelpunktes - also zum Beispiel Freund:innen - das finde ich sowohl als Leserin als auch als Schreiberin sehr angenehm.
Aber zurück zur Frage, ob wir denn nicht lieber echte Probleme lösen könnten, wir genderwahnsinnigen Weiber.
Abgesehen davon, dass ich es tatsächlich für ein echtes Problem halte, wenn Menschen durch Sprache unsichtbar gemacht werden (dann muss Mann sich mit denen nämlich nicht weiter beschäftigen), wäre es gut, wenn wir gleichzeitig auch noch andere echte Probleme lösen.
Gerne solche, die viel eher Frauen als Männer betreffen, ich bin da mal ganz egoistisch:
Öffnungszeiten und Ferienschließzeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen, die keine Vollzeitarbeit zulassen zum Beispiel.
Männer, die es noch immer nicht als selbstverständlich ansehen, 50% der Verantwortung für die Kinder, an deren Produktion sie ja wohl maßgeblich beteiligt waren, zu übernehmen.
Personaler:innen, die Frauen beim Einstellungsgespräch fragen, wie es denn mit ihrer Familienplanung aussehe (ist mir 1x passiert, wenn jemand einen Mann kennt, der das mal gefragt wurde, würde ich den gerne kennen lernen).
Lehrer:innen, Betreuungspersonen, Familienmitglieder, die - bewusst oder unbewusst - davon ausgehen, dass die Mädchen gut im Kümmern sind und die Jungs gut im Klettern.
Politiker, die öffentlich im Fernsehen sagen dürfen, dass Homeschooling super funktioniert, schließlich kümmert sich ja seine Frau darum.
Das alles können wir aber, zumindest ist das meine Meinung, nicht lösen, solange wir die Probleme nicht ernst nehmen.
Solange wir Frauen und anderen marginalisierten Gruppen nicht einmal in unserer Sprache den Platz einräumen, der ihnen zusteht.
Frauen, diversen Personen, behinderten Menschen, Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher sexueller Orientierung, Religion, mit unterschiedlichem Aussehen (und vielem mehr) durch Sprache, die sagt, wer gemeint ist eine Stimme zu geben,
Raum zu geben,
ist für mich der notwendige erste Schritt um uns zumindest in Richtung echter Chancengleichheit zu bewegen.
5. Und was hat das jetzt mit Häkeln zu tun?
Die Häkelcommunity sieht sich selbst gerne als super inklusiv, tolerant, motivierend und ein Haufen freundlicher Menschen, die einander beistehen.
Und genau so dufte ich die Häkelwelt bis jetzt auch meistens erleben. Ich bin aber auch eine weiße, verheiratete Heterofrau mit Kindern und festem Einkommen.
Es gibt aber auch die Postings in Facebookgruppen, die nach der “Hautfarbe” eines bestimmten Häkelgarns fragen und Mit-poster:innen, die automatisch die Links und Farbnummern für hellrosa raussuchen, als hätten sie noch nie Menschen mit einem anderen Hautton gesehen.
Es gibt noch immer die Postings, die bei stolzen Tragefotos eines fertigen Pullovers kommentieren, dass man mit so einer Figur das wohl besser nicht anziehen sollte.
So inklusiv, wie wir gerne glauben wollen, läuft das offenbar doch nicht.
6. Und was machen wir jetzt?
Solange es in den Köpfen keine wahre Gleichstellung gibt, solange müssen wir über Gleichstellung reden.
Wir müssen über unsere Privilegien reden, über Probleme und über die Gleichstellung, nicht nur, aber auch zwischen den Geschlechtern.
Ja, wir brauchen gendergerechte Sprache noch immer. Vielleicht brauchen wir sie jetzt gerade sogar mehr als je zuvor, weil die gleichen Rechte, die Männer und Frauen zumindest hierzulande und zumindest auf dem Papier genießen, manches Mal davon ablenken können, dass es mit den gleichen Chancen für viele Menschen noch nicht weit her ist.
Sprache ist wichtig. Wörter bedeuten etwas und betreffen das Leben von echten Menschen.
Wählen wir sie weise.
Ich würde mich freuen, wenn du mir deine Meinung in die Kommentare schreibst. Brauchen wir gendergerechte Sprache? Und wie machst du das in der Praxis?